WM-Analyse

[img:163:rechts]Kim Rieger, Lars Przystupa, Valentin Tafel und Christopher Czarnetta konnten bei der Weltmeisterschaft in Genf den dreizehnten Platz des letzten Jahres verteidigen. Besonders erfreulich hierbei war die Tatsache, dass dieser Erfolg auf taktisch und technisch einwandfreies Spielen zurückzuführen ist. Insbesondere im ersten Spiel, gegen den amtierenden Vize-Weltmeister Marokko, wurden einige große Aufnahmen aggressiv geführt. Bis zu fünf Mal wurde erfolgreich geschossen, was zweimal fünf Punkte bedeutete. Diese Art, auf eigene Stärke bauend, gewinnen zu wollen, war so überzeugend, dass nicht nur im Leitartikel der örtlichen Presse zur WM das deutsche Team lobend herausgestellt wurde, sondern es hagelte auch Einladungen zu internationalen Turnieren wie noch nie dagewesen.

[img:165:links]Im zweiten Spiel des ersten Pools konnte dann Finnland, das eine Runde später fast das französische Triplette um Michel Loy aus dem Turnier geworfen hätte, in vier Aufnahmen mit einer Fanny vom Platz geschickt werden.
Unsere Mannschaft spielte in diesem, wie auch im zweiten Pool, äußerst kompakt und harmonisch. Weil alles so gut klappte, wechselten wir im ersten Spiel des zweiten Pools gegen Japan Lars für Kim ein, was allerdings nicht so gut lief, obwohl Lars seine Kugeln immer gut plazierte. Erst ein Wechsel beim Stande von 4:6 brachte die Wende. Drei Aufnahmen später hatten wir sicher mit 13:6 gewonnen. Für unser Team war es wichtig, dass Lars hier die Chance erhielt, sich unter Wettkampfbedingungen einzuspielen. So konnte er sich darauf einstellen, was ihn erwarten würde, wenn er einmal in einer Notsituation aus taktischen Gründen eingewechselt werden müsste.
An dieser Stelle noch eine kurze Anmerkung zum Wechseln: Aus meiner Sicht ist es sehr zu begrüßen, dass im Pétanque, ähnlich wie in fast allen Mannschaftssportarten, ein Spielerwechsel auch während eines Spiels seit dieser Weltmeisterschaft möglich ist. Fast alle Nationen machten in ähnlicher Weise wie wir Gebrauch von dieser Regeländerung. Diese Neuerung bedeutet ein Umdenken für die Zukunft: Eine Triplette besteht jetzt aus vier Spielern/Spielerinnen. Bei der Auswahl von Spielerinnen/Spielern für den Nationalkader gewinnt damit auch die Teamfähigkeit der Spieler/innen erheblich an Bedeutung.
Gerade diese Teamfähigkeit zeichnete alle unsere vier Spieler aus. Gegen den Senegal standen wir im zweiten Spiel des zweiten Pools schon 2:10 zurück. Doch unglaublicher Siegeswille und die Akzeptanz aller drei Spieler untereinander, auch bei verspielten Kugeln, brachte uns zurück. Mehr als eine Stunde nach diesem Zwischenstand führten unsere Mannen mit 12:10 und hatten auch einmal einen Matchball, der knapp vergeben wurde. Am Ende unterlagen wir dann zwar noch, hatten aber wieder zu unserem aggressiven Spiel zurückgefunden, mit dem wir den ersten Pool so überragend abgeschlossen hatten.
Das entscheidende Barrage-Spiel gegen Australien wurde in gleicher Manier wie in der zweiten Spielhälfte gegen die Senegalesen dominiert und deutlich mit 13:3 gewonnen.
[img:167:rechts]Jetzt folgte ein logischer Bruch im System: Um jetzt unter die letzten 16 Mannschaften zu gelangen, die wieder in 4er-Pools zusammengefasst wurden, mussten wir ein Cadrage-Spiel gegen Mali bestreiten, ein Spiel, das mir noch lange in Erinnerung verhaftet bleiben wird, weil wir fast in der ersten Aufnahme ein Six-Pack bekommen hätten, das nur schwer wieder aufzuholen gewesen wäre. In der Mitte der Aufnahme springt die Sau bei einer unserer Aktionen etwa 4 Meter nach links. Die Spielentfernung beträgt nach wie vor die von den Spielern Malis bevorzugten 6 bis 7m. Mali verfügt noch über 4 Kugeln, Deutschland hat noch 2 Kugeln zu spielen. Mali hat 2 Punkte am Boden, ca. 4 und 5m von der Sau entfernt. Mit der vorletzten unserer Kugeln versucht Kim so an die Sau zu legen, dass diese bei einem Schuss ins Aus springen müsste. Auf dem nicht sehr einfachen Boden missglückt dieser Versuch und Mali hat nach einem gelungenen Schuss 3 Punkte auf dem Boden. Der beste Punkt liegt jetzt ca. 3,5m rechts hinter der Sau. Valentin will mit seiner letzten Mannschaftskugel noch einmal versuchen, möglichst nah am Zielkügelchen zu punkten. Nach längerer Diskussion legt er seine Kugel 3m rechts hinter die Sau, im Konterbereich der besten Kugel des Gegners. Wenn Mali nicht schießt, bedeutet diese Entscheidung 3 Punkte für Mali. Doch Mali entscheidet sich richtig: Zuerst wird der Punkt gesichert und dann zweimal für 3 Punkte mehr, bei einem Carreau auch 4, geschossen. Doch es kam wie wir es erhofft hatten. Malis Milieu entsorgte 2 Löcher, so dass wir glimpflich davonkamen. Langsam fanden wir in dieses Spiel am frühen Morgen und siegten schließlich doch noch sicher.
Aber ab jetzt wirkte unser Team in den beiden abschließenden Auseinandersetzungen mit einem Schweizer Team und der Vertretung Portugals in den entscheidenden Momenten müde. Gegen die Schweiz wurden 5 Vorteilsituationen erarbeitet, die nicht genutzt wurden mit jeweils 2 bis 4 Punkten, weil keine big-points mehr erfolgreich gespielt wurden. Gegen Portugal wurden die ersten 17 Kugeln perfekt gespielt, es stand 6:0, dann folgte ein Loch für 2 weitere Punkte und wir fanden uns nach mehreren Aufnahmen bei 6:9 wieder. Da erfolgte ein Wunder, die Portugiesen schätzten eine Situation falsch ein und legten und legten und legten. Erst mit der letzten Kugel gelang ihnen ein Punkt. Valentin schoss sicher weg und wir konnten noch drei weitere Kugeln zum Punkt spielen. Wir hofften auf eine Initialzündung, doch das Gegenteil war der Fall. In der nächsten Aufnahme machten wir einmal mit der dritten Kugel zwischendurch den Punkt, was die Portugiesen allerdings mit einem sicheren Schuss beantworteten. Alle anderen Kugel wurden von uns falsch gespielt. Der Akku war bei allen Spielern leer. Bei ca. 1m Platz beendeten die Portugiesen natürlich diese Begegnung und wir mussten ab jetzt zuschauen.
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Wir sahen in den folgenden KO-Spielen die Dominanz der beiden französischen Teams auf trockenem Hallenboden, die dank ihrer Schussstärke nur von den Belgiern ein eingeschränktes Paroli erhielten. Thailand und die Magreb-Staaten sind legetechnisch sicherlich den Franzosen ebenbürtig, aber deren Carreau-Quote erreichen sie bei weitem nicht. Bezeichnet man diese Nationen als Kategorie 1a und 1b, dann kann nach dieser WM mit Fug und Recht festgestellt werden, dass Deutschland in der Kategorie 2 mittlerweile eine feste Größe darstellt. In diese Kategorie 2 gehören ca. 15 bis 20 Nationen.
Im kommenden Jahr wird die Weltmeisterschaft wieder in 8 Großgruppen a 6 bis 7 Mannschaften gespielt, von denen die ersten 4 sich für die Runde der letzten 32 qualifizieren. Hierbei werden die ersten 16 Mannschaften des Vorjahres gesetzt. In jeder Gruppe ist je eine Mannschaft von Platz 1 bis 8 und von 9 bis 16. Deutschland gehört somit zu den gesetzten Nationen, worüber wir uns freuen.
Für die Nationalmannschaft des kommenden Jahres muss es das Ziel sein, die Erfolge der letzten Jahre durch offensives Spielen zu untermauern. Ob dabei ein 5., 9. oder doch nur ein 17.Platz herauskommt ist dann sekundär. Denn bei einer Fortsetzung der Spiellinie der letzten beiden Jahre kommt automatisch früher oder später eine Annäherung an die Spielweise der Nationen der Kategorie 1 zustande. Doch hierfür ist es dringend nötig, dass sich alle geeigneten Spieler/innen für unsere Nationalmannschaft zur Verfügung stellen. Hierzu gehören nun einmal auch Training, Tests, Gespräche, Trainingsspiele und Teilnahme an internationalen Turnieren, die viel Zeit verschlingen. Dank der Mitgliedsbeiträge aller Pétanque-Spieler/innen in Deutschland kann das finanzielle Engagement der Spieler/innen glücklicherweise auf einen niedrigen Eigenanteil reduziert werden. Sollten in Deutschland die Verbandsabgaben aus den Mitgliedsbeiträgen endlich dem internationalen Niveau angepasst werden und/oder Sponsoring-Einnahmen in den Etat einfließen, könnte diese Arbeit auch noch weiter intensiviert werden.
Die vierte Weltmeisterschaft der Tireure sah zum vierten Mal Philipp Quintais erfolgreich. Im Finale siegte er mit 50:49 über Claude Weibel aus Belgien. Wie schwer dieser Erfolg für ihn war, zeigt ein Blick in die Qualifikation: Hier konnte sich Kim Rieger als 4. von 52 Startern direkt fürs Viertelfinale qualifizieren. Philipp Quintais verpasste einen dieser 4 Plätze und konnte sich erst über den Hoffnungslauf, an dem die 5. bis 20. Plazierten der ersten Qualifikation teilnehmen dürfen, hierfür empfehlen. Pech für Kim, dass er mit dem viertbesten Ergebnis des Viertelfinales nicht aufs Siegertreppchen durfte, er unterlag im direkten Aufeinandertreffen Philipp Quintais. Kim, Deutscher Meister 2002 in dieser jungen Disziplin, hat diesen Erfolg nicht zufällig erreicht. Schon im letzten Jahr fehlte ihm bei der WM sowohl bei der Qualifikation, als auch beim Hoffnungslauf 1 Punkt fürs Viertelfinale.
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