EuroCup-Finale in Rastatt – der Bericht Teil 2



Die ersten beiden Begegnungen der ersten Runde, das Triplette Mixte und die Doublettes, waren also gelaufen. Die Mannschaft aus Nizza hatte mit fünf Siegen bereits alles klar gemacht, war also sicher mindestens in der Barrage am nächsten Tag vertreten. Das Team Auderghem hatte als Gegner der Franzosen entsprechend fünf Niederlagen eingefahren und stand nun bereits unter dem Druck, die nächste Runde gewinnen zu müssen, um sich nicht vorzeitig aus diesem EuropaPokal-Finale zu verabschieden.
Anders sah es bei Valle Maira gegen Odin Hannover aus. Hier hatten die Italiener zwar mit 3:2 Siegen die Nase vorn, aber Odin konnte den Italienern durch Siege in beiden Triplette cross die jetzt anstanden durchaus noch einen Strich durch die Rechnung machen. Triplette cross ist die Bezeichnung für das Spiel eines Triplette das nur aus Männern oder Frauen besteht, gegen ein Triplette mixte mit Männern und Frauen in einer Mannschaft.
Der Club aus Nizza ging gelassen in die letzten Partien. Der Spitzensportler Philippe Suchaud durfte pausieren und an seine Stelle trat ein Spieler, der nicht so häufig die Möglichkeit hat sein Können auf internationalem Niveau unter Beweis zu stellen.
Begeisternde Pétanque-Demonstration durch Philippe Quintais
Für die Zuschauer war es besonders erfreulich, dass Philippe Quintais die Absprache vom Vorabend einhielt, nämlich für den Fall dass es aufgrund von mindestens 4 Siegen für die Franzosen um nichts mehr geht, ein bißchen unkonventioneller aufzutreten. Der König des Pétanque spielte in dem Triplette mixte der Franzosen und gab an seine Mitspieler/in folgende Parole aus: „Es wird grundsätzlich nur geschossen!“.
Eine Taktik, die für den Meister keine besondere Anforderung darstellte – für seine weniger trainierten Partner dafür schon eher. Die hielten sich aber ganz tapfer und konnten sich auf ihren Champion verlassen, der in kritischen Situationen immer wieder auf spektakuläre Art und Weise die „Kastanien aus dem Feuer“ holte.
So legte die Dame aus Nizza also eine Kugel vor, die in der Regel einen guten Punkt im maximalen Umkreis von 20 cm zum Schweinchen machte. Die Belgier rund um Jean-François Hémond wollten sich natürlich nicht einfach vorführen lassen und spielten seriös, auch wenn sie hier nichts mehr zu gewinnen hatten. Es wurde also in der Regel auf die erste Kugel aus Nizza geschossen. Die Franzosen schossen jedesmal dagegen, egal, wo die belgische Schußkugel liegen blieb (bis zu 2,50 m vom Schweinchen entfernt). Zunächst durch die Vorlegerin, die eine eher übersichtliche Trefferquote hatte, dann durch den Millieu, der zwar einigermaßen sicher traf, allerdings in der Regel mit seiner Schußkugel auch nicht zwingend zum Gegenschuß liegen blieb – und abschließend dann durch Philippe Quintais, der dann in den logischerweise desolaten Bildern am Boden seine „Zauberstücke“ vollbrachte, die wiederum die Belgier immer wieder unter Druck setzten.
Quintais schaffte es immer wieder zum Beispiel das Schweinchen einige Meter beliebig nach rechts, links oder hinten zu bringen, je nachdem wo die meisten Kugeln seines Teams lagen. Wenn er schoss, dann teilweise so, dass bis zu drei belgische Kugeln das Feld verlassen mussten – Treffer, die schon eher an Billard erinnerten. Und wenn abzusehen war, dass nach drei gespielten Kugeln seines Teams wohl kein Punkt mehr für Nizza möglich wäre, dann schoss er eben mit schlafwandlerischer Sicherheit die Sau.
Es war ein Hochgenuss dem Meister zuzusehen, wie er sich da ganz befreit austobte und seinem Team, seinen Gegnern und dem Publikum eine Lehrstunde des Pétanque bereitete. Ein besonderer Genuß für einige wenige „Eingeweihte“, die nämlich um die nicht unerheblichen Probleme des Champions in der Saison 2004 wussten.
Schwierige Saison 2004 für den mehrfachen Weltmeister
Quintais hatte speziell in diesem Jahr mit großen mentalen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der permanente Erfolgsdruck bei französischen Meisterschaften, großen Turnieren und besonders bei der Weltmeisterschaft hatte ihm enorm zu schaffen gemacht. Ständig im Mittelpunkt zu stehen, auf den Titel des Tireuer-Weltmeisters praktisch“abboniert“ zu sein und fast ebenso auf die Krone des besten Teams der Welt, das alles belastete ihn schwer. Unbewußt hatten ihm Fans, Betreuer, Funktionäre und sein Mangement eine fast unerträgliche Bürde auferlegt. Ein Philippe der bei der Tireur-WM in der Vorrunde ausscheidet, der fand in deren Wahrnehmung zum Beispiel nicht statt – in diesem Wissen stand der Champion dann vor einigen tausend Zuschauern in der Halle in Grenoble, viele von denen schnell hinzu geeilt weil es hieß „Quintais ist jetzt an der Reihe!“ und hatte seine Punkte zu schießen – was ihm dann schließlich nicht gelang. Seine Enttäuschung darüber und sein Wissen um die Enttäuschung seiner Fans und Begleiter hatten ihm dann nach und nach die Freude an seinem Sport geraubt – bis hin zu nicht unerheblichen Depressionen.
Und dieser Quintais stand nun zum Ende der Saison in der Boulehalle in Rastatt und spielte! Spielte für sich, für sein Team und für das Publikum – und Kugel für Kugel hellte sich seine Mine auf, machte er Späße, ließ er seine herzlich empfundene Freude auf alle Anwesenden strahlen und genoss die Reflektionen dieses Wohlbehagens sichtlich!
Quintais siegt sicher – trotz mangelnder Ernsthaftigkeit
Doch kommen wir zurück zu der Triplette cross-Partie, in der die Belgier sich zwar tapfer wehrten, der guten Laune des Kugelkünstlers aber schließlich nichts entgegen zu setzen hatten. 13:7 war das Ergebnis für das Team aus Nizza – und durch einen 13:0 Sieg der anderen Begegnung zwischen den Franzosen und Belgiern hieß es nun nach sieben Spielen 7:0 für die Equipe Nice.
Odin Hannover in der letzten Begegnung der ersten Runde enorm unter Druck
Das junge Team von Odin Hannover sah sich vor den letzten beiden Partien dieser Runde gegen Valle Maira einem nicht unerheblichen Druck ausgesetzt. Es mussten zwei Siege her, um für den nächsten Tag qualifiziert zu sein. Nachdem sich die Niedersachsen in den Doublette-Partien so stark präsentiert hatten war es umso ärgerlicher, dass die ersten beiden Triplette offensichtlich „verschlafen“ worden waren – hier fehlte jetzt mindestens ein wichtiger Sieg.
Anders sah es bei den Italienern aus. Diese an Jahren erheblich ältere Mannschaft konnte mit dem beruhigenden Gefühl in die Runde gehen, dass lediglich eine Partie zur Teilnahme am nächsten Tag gewonnen werden müsste. Und so trat dann auch speziell das Triplette auf, das gegen Lea Kleinspehn, Jan Garner und Bernd Hoffmann spielen musste. Souverän wurden sichere Punkte gelegt, der Tireur der Mannschaft ließ sich ausreichend Zeit zur Vorbereitung seiner Schüsse und der Milleu präsentierte sich als sicherer „Ausputzer“ . Die Hannoveraner standen unter der enormen Anspannung, dass jeder kleine Fehler im eigenen Spiel unwillkürlich Punktverluste bedeuten würde, was nicht eben zu besonderer Sicherheit führte.
Dieser Druck steigerte sich umso mehr, als dass das Triplette mit Sascha von Pless, Marcel Franke und Martin Kuhball auf der gegenüberliegenden Bahn einen souveränen Auftritt bot. Ziemlich schnell führte das Team aus Niedersachsen gegen das italienische Triplette-Mixte mit 9:3 – alle Zeichen standen auf Sieg.
Lea, Jan und Sascha hingegen mussten eine nach der anderen Aufnahme an ihre Gegner abgeben. Diese führten nach kurzer Zeit mit 7:1. Das deutsche Team stemmte sich zwar zwischenzeitlich sehr effektiv gegen den Druck der Italiener, kam sogar auf 6:9 heran, mussten sich dann aber mit 6:13 geschlagen geben.
Damit war diese erste Runde insgesamt verloren. Das Hannoveraner Triplette fuhr zwar in der parallel laufenden Partie einen 13:8-Sieg ein, aber dies war nur Ergebnis-Kosmetik. Die Runde ging mit 4:3 Siegen an Valle Maira.
So hieß es also für die nächste Runde: Verlierer gegen Verlierer und Gewinner gegen Gewinner. Odin Hannover gegen Auderghem und D.U.C. Nice gegen Valle Maira.
Kleine aber ärgerliche Panne in der Mittagspause
In der Pause zwischen den beiden Runden gab es dann die erste und einzige kleine Panne in der Organisation dieser EuropaPokal-Endrunde. Der Gastronomie-Bereich der Boulehalle Rastatt ist zwar recht großzügig, stößt aber bei einem so enormen Zuschauer-Anteil schnell an seine Grenzen. So war den Helfern in der Restauration also angesagt worden, dass sie ab 13:00 Uhr vier Tische für die Spieler der vier Mannschaften frei zu halten hätten. Spätestens gegen 13:30 Uhr rechnete man mit dem Ende der ersten Runde – und dann sollten alle Akteure zeitnah an ihre Mahlzeiten kommen.
Die Mitarbeiter hatten auch tapfer die Reservierungs-Schilder auf den Tischen verteilt, doch leider fanden diese bei den Fans und Besuchern aus dem In- und Ausland nur ein sehr übersichtliches Interesse. Soll heißen: Die Spieler kamen aus der Halle ins Restaurant und fanden zunächst einmal keinen Platz. Die Organisatoren gerieten in die unglückliche Situation, Fans und Begleiter von den Tischen verweisen zu müssen um Platz für die Sportler zu schaffen. Dies stieß natürlich nicht in allen Fällen auf großes Verständnis und es waren in vielerlei Sprachen diverse Wogen zu glätten.
Durch diese kleine Panne verzögerte sich dann der Start der nächsten Runde um eine gute Stunde, danach ging es aber reibungslos weiter.
Nizza marschiert ungefährdet ins Finale
Und „reibungslos“ ist auch das beste Wort für den Auftritt der Spieler aus Nizza gegen Valle Maire. Die Italiener sahen sich einem Biß und einer Spielfreude gegenübergestellt, die zu keiner Zeit auch nur den leisesten Zweifel daran ließ, dass Frankreich diesen Tag mit zwei gewonnenen Runden beenden möchte. 13:3 ging das Triplette an Nizza und im Triplette mixte schafften die Italiener sieben Punkte, allerdings unter anderem durch ein Fünfer-Päckchen, zu dem zwei Löcher und ein mißlungener Sauschuss der Franzosen in einer Aufnahme geführt hatte. Am Ende hieß es hier dann 13:7 für Nizza.
Das Doublette der beiden Philippes, Quintais und Suchaud, brauchte die Rekordzeit von 17 Minuten um ihre völlig überforderten Gegner mit 13:1 in fünf Aufnahmen zu besiegen, wobei sie nach dem Punkt und anschließenden Sauwurf der Italiener alleine vier Carreaux auf die ersten gelegten Kugeln schossen, die Spieler aus Valle Maira sich viel zu spät entschlossen, das Schweinchen raus zu schießen, was dann auch mißlang und die Herren Weltmeister sich also nicht die Gelegenheit zu einer Aufnahme mit 6 Punkten nehmen ließen.
Auch das Doublette Mixte der Italiener hatte seinem französischen Gegenüber nichts entgegenzusetzen. Ebenso flott wie ihre Teamkollegen auf dem Nachbarfeld mussten sie sich mit 3:13 geschlagen geben. Hier war es auf Seite von Nizza Kaled Lakhal, der nichts anbrennen ließ.
Ein italienisches Doublette wehrt sich tapfer gegen die starken Franzosen
Einzig das zweite Doublette in der Begegnung Vallle Maira gegen Nizza zeigte eine zumindest ebenbürtige Leistung wie die der Franzosen. Hier ging es über lange Strecken hin und her. Die beiden anderen Partien dieser Begegnung waren längst entschieden – und genauso die Tatsache, dass Nizza am nächsten Tag im Finale stehen würde, als es in diesem Spiel gerade mal 7:5 für Frankreich stand. Die Italiener konnten aber ihr ohnehin hohes Niveau noch steigern und führten zwischenzeitlich sogar mit 11:9. Nachdem insgesamt vier Sauschüsse in verschiedenen Aufnahmen als „Rettungsanker“ dienen mussten, wurde die Partie aber schließlich doch noch mit 12:13 für Nizza beendet.
Nach den zweiten Begegnungen dieser Runde stand es also zwischen Nizza und Auderghem 5:0 für die Spieler aus Frankreich.
Valle Maira resigniert gegen die übermächtigen Sportler aus Nizza
Die Italiener zeigten nach diesen beiden klar verlorenen Runden erhebliche Schwächen. Vielleicht spielte auch ein gutes Stück Resignation mit hinein, jedenfalls gab es in den beiden Triplette cross-Begegnungen kaum noch gelungene Aktionen der Spieler aus Valle Maira. Anders die Franzosen und hier speziell Philippe Quintais, der wieder locker und befreit einen Kessel Buntes aus der Waschküche des Pétanque-Spitzensport präsentierte – jede Kugel ein Leckerbissen für die Fans.
So trafen also in seiner Partie mindestens drei Klassen Unterschied gegeneinander an und das italienische Team durfte den Tag nach 20 Min. Einführung in die Zauberschule des Champions mit einer 13:0-Niederlage beenden.
Ähnlich deutlich lief es in der anderen Partie, in der die Mannschaft von Valle Maira zwar zwei Punkte machen konnte, damit aber nur einen Fanny verhinderte. 13:2 ging auch dieses Spiel an Nizza.
Damit beendeten die Franzosen den ersten Tag des EuropaPokal-Finales ungeschlagen mit 14 Siegen in 14 Spielen und verabschiedeten sich via Shuttle-Bus in Richtung Hotel.
Odin Hannover mit deutlichem Siegeswillen
Jan Garner hatte das Team von Odin Hannover vor der Runde gegen Auderghem noch einmal „ins Gebet genommen“. Der offensichtlich angeschlagene Marco Schuhmacher war schon während der Partien der ersten Runde ausgewechselt worden und für ihr spielte jetzt Martin Kuball von Anfang an. Auch Marc May stand bereit um gegebenenfalls einzuspringen.
Die 3:4-Niederlage gegen Valle Maira war natürlich noch in den Köpfen und sorgte für einige Verärgerung. Die Spieler wussten aber um ihre neuerliche und vor allen Dingen letzte Chance am nächsten Tag noch mitspielen zu können – und machten dies von Anfang an deutlich.
Dabei hatte Jan Garner mit Bernd Hoffmann und Lea Kleinspehn in seiner Triplette mixte-Partie einen sehr unglücklichen Start. Schon nach kurzer Zeit stand es hier 7:0 für die Belgier, die vor allen Dingen durch die souveräne Leistung ihrer Legerin hervorstachen. Die Dame brachte nicht nur souverän alles an die Zielkugel, sondern schoss auch genauso sicher nach, wenn es angesagt war. Das Team Odin stand während der gesamten Partie unter großem Druck, dem sie schließlich auch nachgeben mussten. Mit 13:2 für Auderghem endete das Spiel nach recht kurzer Zeit.
Großer Sport von Sascha von Pless
Da gestaltete sich das Aufeinandertreffen von Sascha von Pless im Team Hannover gegen die Mannschaft rund um Jean-François Hémond für Auderghem schon ausgeglichener. Sascha war mit Marcel Franke und Martin Kuball angetreten und man spürte deutlich, dass er sich hier nicht ohne weiteres geschlagen geben wollte. Seine Kugeln waren präzise, seine Taktik sehr mutig und sein Sieges-Wille schlug deutlich auf seine Team-Kameraden über.
Von Marcel Franke, der als Vorleger fungierte, sah man kaum mal eine Kugel, die schlechter als 15 cm im Umkreis zu Zielkugel gelegt wurde. Natürlich ein gefundenes Fressen für einen Tireur vom Format des Weltmeisters Jean-François Hémond, der diese guten Punkte immer wieder austauschte. Aber auch Sascha von Pless bot eine ansehnliche Ausbeute an Carreaux. So kämpften sich beide Mannschaften Punkt für Punkt Richtung 13, die Belgier immer mit ein bis zwei Punkten Vorsprung.
Ärgerlicher Zwischenfall durch die belgischen Fans
Die Mannschaft aus Auderghem hatte einen ganz klaren Vorteil durch ihre leidenschaftlichen Fans. „Allez St. Anne!“ grölte es bei jeder Gelegenheit durch die Halle. Sei es, dass das belgische Team eine besonders wichtige Kugel zu spielen hatte, oder dass eine sehr gute Kugel gespielt wurde. Ganz anders die deutschen Fans, deren Unterstützung sich auf den fünfzehnjährigen Daniel Orth und drei oder vier Leute in seiner Umgebung reduzierte . Der engagierte Jung-Spieler versuchte tapfer in Wort und Geste mit den belgischen Fans in der Unterstützung seiner Mannschaft gleichzuziehen.
Dies hatte allerdings auch zum Ergebnis, dass sich diese beiden, in 30 m Abstand gegenübersitzenden „Fanblocks“ gegenseitig hochschaukelten. So reduzierte sich dann irgendwann die Unterstützung der belgischen Fans nicht mehr nur auf gut gespielte Punkte ihrer Mannschaft, sondern dehnte sich aus auf Jubel über weniger gut gespielte oder mißlungene Kugeln der Hannoveraner. Das zehrte an den Nerven.
Zum Eklat kam es dann, als Sascha von Pless beim Stande von 11:9 für Auderghem die Möglichkeit hatte durch einen Schuß vier Punkte zu machen und damit die Partie zu beenden. Schon indem er in den Kreis ging gab es Unkenrufe aus der belgischen Fankurve. Sascha versuchte aber dies zu ignorieren und sich voll und ganz auf den wichtigen Schuß zu konzentrieren. Zweimal wurde er hierbei unterbrochen, musste aus dem Kreis und sich anschließend neu aufstellen. Schließlich war es soweit, Sascha holt aus, die zu treffende Kugel liegt gute 12 m entfernt. Sascha schießt – und: Trifft die Kugel nur knapp, so dass sie lediglich einen guten Meter nach hinten rollt, das Feld aber nicht verläßt. Es sind also dann drei Punkte anstatt vier für Odin Hannover am Boden.
Die belgischen Fans jubeln – ihre Mannschaft ist vorläufig in dieser Partie gerettet. Und jetzt verliert Sascha die Nerven. Aufgeregt wendet er sich in Richtung der Fans von Audergheme, geht ein paar Schritte auf die Truppe zu und macht dann sehr eindeutige Gesten, die nicht unbedingt zur Völkerverständigung beitragen.
Die Belgier grölen und antworten mit entsprechendem Gebaren, für einen Moment ist es nicht auszuschließen, dass mindestens ein Fan auf den Platz läuft um eine kurze Einlage in römisch/griechischem Freistil mit Sascha von Pless zu demonstrieren.
Souveräne Leistung durch Schiedsrichter Patrick le Bars
Einzig Patrick le Bars, der als Schiedsrichter bei diesem EuropaPokal-Finale eine Weltklasse-Leistung präsentiert hatte, verhindert Schlimmeres. Ganz ruhig und besonnen stellt er sich zwischen die erhitzten Gemüter und schlichtet zunächst einmal. Anschließend verwarnt er deutlich sowohl Sascha von Pless als auch die belgischen Fans. Die Wogen sind erstmal geglättet.
Später erklärt Patrick: „Da s Verhalten von Sascha war natürlich unentschuldbar. Wenn es sich bei ihm um einen älteren, erfahreneren Spieler gehandelt hätte, hätte er den Platz verlassen und sein Team mit vier Kugeln alleine lassen müssen. Davor hat ihn allein seine Jugend bewahrt, und die Tatsache, dass die belgischen Fans enorm unfair waren.“
Die Partie wird also nach dieser kurzen Unterbrechung mit dem Spielstand 12:11 für Odin Hannover fortgeführt. Allerdings nur eine Aufnahme lang, denn Sascha scheint nach diesem Zwischenfall einen ganz besonderen Ehrgeiz zu entwickeln. Nachdem nur noch ein belgischer Spieler und er zwei Kugeln haben, sind die Belgier daran zu legen. Sie machen auch einen guten Punkt, ca. 40 cm vom Schweinchen entfernt – und es ist die Frage, ob man hier legen oder schießen soll. Sascha von Pless überlegt nicht lange und schießt einen SurPlace. Der Spieler aus Audergheme legt seine letzte Kugel, hat wieder den Punkt – der dann aber wieder von Sascha ausgetauscht wird. Schließlich liegen zum Ende der Partie drei Punkte für Hannover – einer hätte gereicht.
Odin gewinnt also dieses Triplette mit 13:11, immerhin gegen den Weltmeister Jean-François Hémond – und damit steht es nach der ersten Runde 1:1 in Spielen.
Die Doublette-Begegnungen
Es folgen die Doublette-Begegnungen, und hier steht Sascha von Pless ganz offensichtlich noch unter den Eindrücken der unfairen Behandlung durch die belgischen Fans. Allerdings nicht mit dem Ergebnis, dass er unkonzentriert oder unmotiviert auftreten würde, ganz im Gegenteil. Er spielt auf einem Niveau, dass den vielzähligen Welt-Champions in der Halle zur Ehre gereicht hätte, ganz frei nach dem Motto: „Jetzt erst recht! Euch werd‘ ich’s zeigen!“ Selbst ein Philippe Quintais war aufmerksamer Beobachter dieses Spiels und applaudierte angesichts dieses starken Auftritts.
Der belgische Spitzenspieler Jean-Claude Brohée, equipiert mit Geoffrey Haulette durfte sechs Aufnahmen lang das ausbaden, was die belgischen Fans in Sascha von Pless ausgelöst hatten, einen unbedingten Siegeswillen. Schließlich brachte dann ein letzter Carreau des Hannoveraners, der mit seinem Teamkollegen Marcel Franke angetreten war, die 13 für Niedersachsen – und die Anzeigetafel machte deutlich, dass das belgische Team hier leider mit null Punkten vom Platz gehen musste. Ein Fanny für ein Team, dass sich auf jedem größeren Turnier ohne weiteres in die vorderen Ränge spielt.
Leider war es bei den Belgiern Jean-François Hémond, der ähnlich wie Sascha, hier nichts anbrennen lassen wollte. Auch er traf jede Kugel, tauschte in der Regel aus und projezierte seinen Siegeswillen auch auf seinen Teamkollegen. Martin Kuball und Bernd Hoffmann sahen sich in dieser Partie chancenlos und mussten das Spiel nach kurzer Zeit mit 13:1 an die Spieler aus Auderghem abgeben.
So stand es also 2:2 in Spielen und es hing an den Doublette mixte, ob hier ein Vorteil für Hannover oder Auderghem herauskommen würde. Leider hatten Lea Kleinspehn und Jan Garner zu Beginn ihres Spiels noch einige Anlaufschwierigkeiten und lagen schnell hoch zurück. Erst beim Stand von 0:7 konnten hier taktisch und technisch wirksame Aktionen der jungen Niedersachsen beobachtet werden. Zu diesem Zeitpunkt war es allerdings schon zu spät. Odin macht einen Punkt zum 1:7, die Belgier ziehen nach, machen in der nächsten Aufnahme zwei Punkte, 1:9, Hannover kommt noch einmal, ebenfalls zwei Punkte zum 3:9, aber die Belgier machen „den Sack zu“, gewinnen schließlich mit 13:3.
Es ergibt sich dieselbe Situation für Odin Hannover wie schon in der ersten Runde gegen Valle Maira – sie liegen vor der letzten Runde mit 2:3 in Spielen zurück und müssen nun die beiden letzten Triplette gewinnen um noch im Wettbewerb zu bleiben.
Den Belgiern reicht ein Sieg – und das Triplette von Jean-François Hémond tritt gegen das Triplette mixte Lea Kleinspehn, Jan Garner und Bernd Hoffmann an. Die Hannoveraner sind chancenlos, machen keinen Punkt, müssen sich nach wenigen Aufnahmen mit 13:0 geschlagen geben. Das war’s für Odin Hannover bei diesem EuropaPokal-Finale!
Sascha von Pless ist noch im Schwung des Fannys, den er gerade eine Partie vorher verteilt hatte. Er macht keine Fehler, seine Teamkollegen stärken ihm darüber hinaus den Rücken, sein Team kann das Spiel gegen das belgische Triplette mixte mit 13:6 gewinnen – was aber im Gesamtergebnis nichts ändert.
Die Runde geht mit 4:3 Siegen an Auderghem, die nun am nächsten Tag gegen Valle Maira in der Barrage um den Einzug ins Finale kämpfen mussten.
Für Odin Hannover bleibt zusammenfassend festzustellen, dass sich dieses junge Team hier im Kreise der erfahrenen und international erfolgreichen Spieler aus Italien, Frankreich und Belgien gut verkauft hat. In beiden Runden fehlte den Niedersachsen lediglich ein einziger Sieg, um weiter um den Titel mitkämpfen zu können – schade! Aber immerhin eine Leistung, die der eine oder andere den deutschen Teilnehmern wahrscheinlich nicht zugetraut hätte.
Abschließend zu diesem ersten Tag sollte noch folgender Vorgang beschrieben werden:
Der Schiedsrichter Patrick le Bars hatte nach dem Eklat zwischen Sascha von Pless und einem belgischen Fan den Anhänger von Auderghem der Halle verwiesen. Zum Ende des Tages betrat Patrick nun den Gastronomie-Bereich, in dem besagter Begleiter gerade eines von offensichtlich bereits einigen Bieren genoss.
Der Belgier sprach den Schiedsrichter an: „Entschuldigung, mein Herr! Ich möchte mich für mein Verhalten eben in der Halle bei Ihnen entschuldigen! Es war völlig richtig, dass Sie mich rausgeworfen haben! Jetzt, wo für Sie dieser Spieltag auch beendet ist, darf ich Sie doch sicher auf ein Glas Wein einladen, oder?“
Dies war eine besonders schöne Szene und eine Geste, die die gesamte Atmosphäre dieser beiden Tage von Rastatt sehr treffend wieder gibt.
– Fortsetzung folgt –