EM-Bericht der Jugend

Der 9. Platz für Deutschland bei der EM in Gent (Belgien).

Nach den vielen Fragen „Wie war´s eigentlich?“,  „Seid ihr zufrieden mit eurer EM-Platzierung?“, …, hab ich für mich die klare Antwort: Ich bin zufrieden.

Selbstverständlich war nach dem Ausscheiden in der Barrage gegen Tschechien zunächst die Stimmung nicht gerade gut und der Schock war deutlich zu spüren, aber nachdem stundenlang gemeinsam analysiert, argumentiert und die gesamte Leistung während der EM durchleuchtet wurde, waren allesamt übereinstimmend der Meinung: Sicher hatte niemand das Viertel- oder Halbfinale völlig ausgeschlossen, aber eigentlich entspricht die Platzierung der abrufbar gewesenen Leistung – ein bisschen mehr Glück bei den eigenen gespielten Kugeln oder auch in der einen oder anderen Situation, bei der die Gegner das Glück für sich gepachtet haben, und schon rutschst du ohne Probleme unter die letzten 8, oder katapultierst dich durch die dadurch entstehende Euphorie durchaus auch ins Halbfinale.

Wäre jeder Spieler genau zum richtigen Zeitpunkt in der Lage gewesen, zumindest annähernd 100 Prozent seiner Möglichkeiten abzurufen, wäre eine vordere Platzierung durchaus realistisch gewesen – hätte, wäre, wenn. 

Trotzdem: Alles in Allem sind wir zufrieden mit unserer gespielten EM.

Aber zunächst zu den Spielen und dem, was uns erwartet hat:

Bereits am Mittwoch (31.10.) kamen wir nach einer Reisezeit von fast 9 Stunden in Gent bei der Pétanque-Halle Topsporthal Vlaanderen an und hatten natürlich die vage Hoffnung, vielleicht ein paar Kugeln auf dem Terrain werfen zu können. Leider war es jedem Team strengstens untersagt, auch nur eine kleine Annäherung zum Spielgelände zu wagen. Als wir immerhin die Erlaubnis bekamen, zumindest einen kurzen Blick von den Tribünen ins Hallen-Oval zu werfen, wurde uns extra eine Begleitung an die Seite gestellt, die sorgsamst darauf achtete, dass wir uns nicht doch noch weiter hinunter wagen. Es war aber schon ein großartiges und beeindruckendes Bild, das sich uns bot: Die eigentliche Radrennbahn war mit insgesamt 87 Tonnen Kies, auf Holzplatten verteilt, zu einer Boule-Arena hergerichtet, die umrahmt wurde von einem Oval aus gelb und blau gestalteten Tribünen-Sitzen – ein wirklich würdiges Ambiente.

Nach diesen Eindrücken und aufgrund der durch die lange Fahrt eintretenden Müdigkeit war uns an diesem Abend nur noch nach Hotel, Abendessen und Bett.

Am Donnerstag hatten wir eigentlich die Absicht, uns mit einer lockeren Trainingseinheit nochmal auf die anstehenden Aufgaben vorzubereiten, aber es war nirgends ein überdachtes Gelände zu finden und durch Regen und starken Wind war es unmöglich, ohne den Spaß zu verlieren, ein paar Kugeln zu werfen. Es wurde zwar in Verbindung mit dem Damenteam der eine oder andere Versuch gestartet, aber immer wieder zwang ein erneuter Regenguss Alle zur Flucht ins Hotel.

Am Mittag wurde ein Ausflug in die Innen- und Altstadt Gent beschlossen. Aber auch dieser Ausflug wäre bei anderer Wetterlage um einiges anregender gewesen.

In der Teambesprechung am Abend wurde von uns gemeinsam noch einmal die gemeinsame Strategie durchgesprochen, wobei ich Wert darauf gelegt habe, dass nicht der einzige Focus auf das Erreichen der Europameisterschaft gerichtet sein darf, sondern der Weg dahin das Ziel sein muss: Wir werden uns von Kugel zu Kugel konzentrieren, von Aufnahme zu Aufnahme vorarbeiten, von Spiel zu Spiel denken – wenn alles passt und das Team sich grundsätzlich gegenseitig unterstützt und ausgleicht, kann das Erreichen der Europameisterschaft eine zwangsläufige Konsequenz der Arbeit sein.

Niklas musste am Freitag in der 2. von 3 Gruppen (8 Schützen parallel) mit dem Schießen beginnen. Leider wurde auch hier peinlichst darauf geachtet, dass kein Tireur sich auf dem Gelände außerhalb der eigentlichen Schuss-Anlagen einschießen konnte. Unmittelbar vor seinem Durchgang hatte Niklas die Möglichkeit, mit 3 Kugeln die Bodenbeschaffenheit zu testen – aber mit diesem Procedere hatten ja alle zu kämpfen.

Mit 26 Punkten hatte Niklas zwar eine gute Basis vorgegeben, aber letztendlich reichte die Punktzahl lediglich zum 14. Platz. Die besten 4 waren direkt qualifiziert, die nächsten 8 mussten in die Qualifikationsrunde.

Bis zum eigentlichen EM-Spielbeginn hatten wir noch 2 Stunden Zeit und beschlossen, wieder ins Hotel zu fahren, um nochmal vor den Spielen zur Ruhe zu kommen.

Zu den Spielen:

Am Start sind 24 Nationen, 25 Teams (Belgien stellt 2 Teams). Gespielt wird 5 Runden Schweizer System. Die besten 12 Teams verbleiben im Wettbewerb um die EM, die letzten 13 Teams spielen um den Nationen Cup.

Weitergespielt wird nach der Vorrunde in 3er-Pouls, wobei die besten 4 Teams gesetzt sind und dadurch im jeweiligen Poule bereits einen Sieg als Vorteil haben.

Pünktlich um 16.30 Uhr beginnt die Vorrunde.

Spiel 1 – Vorrunde am Freitag gegen Estland – 13 : 2

Estland ist keinesfalls ein beeindruckender Gegner. Bereits nach der 3. Aufnahme reduziert sich der Gegner lediglich darauf, Schlimmeres zu vermeiden und konzentriert sich einzig darauf, Konter zu legen. Trotz ungefährdetem Sieg wird schnell klar, dass zu viele Punkte liegen gelassen werden und wir brauchen 9 Aufnahmen, um das erste Spiel für uns zu entscheiden.

Spiel 2 – Vorrunde am Freitag gegen Frankreich – 1 : 13

Nachdem Estland als erster Gegner keinesfalls als Gradmesser herhalten konnte, kommt das Spiel gegen Frankreich zu dem Zeitpunkt sicher noch zu früh, um wirklich im Turnier ankommen zu können. Ich gebe raus, dass wir das Spiel gegen Frankreich nicht zwangsläufig brauchen, um weiter zu kommen. Wichtiger ist es, wenig Energie für dieses Spiel aufzubringen, die wir sicher bei anderen Spielen noch brauchen werden.

Das Ergebnis allerdings soll nicht den Eindruck vermitteln, dass überhaupt nichts probiert wurde. In der ersten Aufnahme legt Frankreich den Punkt. Jetzt rächt sich für uns ein bisschen die Hartnäckigkeit der Verantwortlichen, dass wir uns nicht an die unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten der einzelnen Plätze haben gewöhnen können: Die erste Legekugel von Moritz schlägt durch die 3cm Kiesauflage durch und der federnde Holzboden lässt seine Kugel 2 mal hüpfen und sie bleibt erst weit hinter dem Cochonnet liegen. Auch die 2. Kugel verhält sich nahezu in gleicher Weise, obwohl Moritz sie weitaus kürzer spielt. Die nächste gelegte Kugel hingegen gräbt sich weit vor dem Cochonnet in den Boden ein. Ein oder zwei fehlende Kugeln werden von schwächeren Gegnern „verziehen“ – nicht aber natürlich von Frankreich – 0:6 gleich nach der ersten Aufnahme.

Die nächste Aufnahme verläuft mehr in unsere Richtung: Unsere Kugel liegt an 1, ca. 5 cm rechts vom Cochonnet. Frankreich legt knapp rechts neben unsere.

Niklas muss schießen, um für unsere Legekugeln etwas mehr Platz zu schaffen – er locht mit seiner ersten Schusskugel – mit der 2. Schusskugel bringt er die Gegnerkugel nicht nur näher an das Cochonnet, sondern legt die Gegnerkugel auch noch an unsere beste liegende Kugel an. Mit noch 2 Kugeln auf der Hand entschließen wir uns, den Punkt sicher zu nehmen, um mit dem Anwurf des Cochonnet sowohl unsere Distanz zu spielen und auch den Gegner unter Druck setzen zu können. Unsere erste Legekugel gräbt sich zwingend neben dem Cochonnet ein – Frankreich antwortet mit einem sauberen Carreau – Niklas trifft, aber der Gegner bleibt auf Eins liegen – unsere zweite Legekugel wird von Frankreich ebenso wie die erste mit einem sauberen Schuss entfernt – … . Recht schnell wird deutlich, dass die Franzosen hier nichts mehr anbrennen lassen werden und unsere Gegenwehr hält sich nach meiner Vorgabe sehr in Grenzen.

Spiel 3 – Vorrunde am Samstag gegen Türkei – 13 : 5

Nach der Teambesprechung am Freitagabend (trotz meiner Vorgabe ist eine Niederlage gegen Frankreich in dieser Höhe natürlich nicht einfach mal so nebenbei weg zu stecken), steht am Samstag gegen die Türkei eine mental völlig gestärkte Mannschaft auf dem Platz. Bereits nach der 3. Aufnahme steht es 12:0. Lediglich ein Verzweiflungsschuss der Türken, bei dem das Cochonnet im Nachbarfeld im Abstand von 14 m zum Abwurfkreis liegen bleibt, verhilft ihnen nicht nur der vorzeitigen Niederlage zu entgehen, sondern aus dieser Situation auch noch 4 Punkte für sich zu gewinnen. Die Euphorie nehmen sie natürlich mit in die nächste Aufnahme und mit viel Mühe erkämpfen sie sich hier auch nochmal einen Punkt. Bereits in der folgenden Aufnahme allerdings ist ihr Widerstand gebrochen und wir beenden das Spiel mit einem klaren Sieg.

Spiel 4 – Vorrunde am Samstag gegen Monaco – 7 : 13

Die ersten beiden Aufnahmen gegen Monaco laufen für uns nach Plan – 5:0. Aber Monaco ist keinesfalls ein Gegner, der zurücksteckt und so steht es nach der 4. Aufnahme 5:5. Nachdem wir auch in der folgenden Aufnahme 2 Punkte abgeben, entschließen wir uns, durch einen taktischen Wechsel verstärkt den Gegner durch mehr Legekugeln unter Druck zu setzen. Leider kommen trotz dem Wechsel viel zu selten eben diese so wichtigen Legekugeln, so dass Monaco in jeder weiteren Aufnahme immer mit ihrer letzen Kugel ein oder zwei Punkte für sich schreiben kann. Nach 11 Aufnahmen müssen wir die Überlegenheit des Gegners für dieses Zusammentreffen anerkennen.

Spiel 5 – Vorrunde am Samstag gegen Slowakei – 13 : 0

Dass unser Team funktioniert, zeigt sich für mich in diesem Spiel deutlich: obwohl jedem klar war, dass zum sicheren Weiterkommen der Sieg gegen die Slowakei dringend gebraucht wird, ist im Team in keinster Weise Verunsicherung zu spüren. Völlig souverän und ohne den geringsten Anschein von Zurückhaltung spielt das Team den Gegner an die Wand: 2:0, 5:0, 6:0, 9:0, 12:0, 13:0.

Nach der Vorrunde schneiden wir mit dem 8. Platz ab und verbleiben somit sicher im Turnier um den EM-Titel.

Gelost werden wir in den 3er-Poule mit Frankreich als gesetztem Team und Tschechien.

Spiel 6 – Poulerunde am Samstag gegen Tschechien – 10 : 13

Obwohl wir mit einem 6:0 nach der ersten Aufnahme vermeintlich gut ins Rennen gehen, wird schnell klar, dass Tschechien nicht an der ersten Aufnahme zu messen ist. Punkt für Punkt holt Tschechien auf und schafft es nahezu in jeder Aufnahme, uns mit richtig gut gelegten Konter-Kugeln in Verlegenheit zu bringen. Selbst wenn wir mit offensivem Spiel durch Schuss das Spiel immer wieder für uns offen halten können, kommt prompt schon wieder die nächste Konter-Kugel. Es ist eine Frage der Zeit, bis die Schusskugeln durch den dauerhaften Druck nicht mehr zwingend für uns kommen. Nach der 7. Aufnahme beim Stand von 8:7 ändern wir unsere nicht mehr funktionierende offensive Taktik und versuchen, durch einen Wechsel ebenfalls für mehr Legekugeln zu sorgen und den Gegner dadurch vielleicht in die Situationen zu bringen, in der wir die ganze Zeit waren. Leider kommen unsere Legekugeln nicht annähernd so durchgehend zwingend wie die der Tschechen. Nach der 13. Aufnahme müssen wir uns der Zermürbe-Taktik des Gegners geschlagen geben.

Tschechien muss nun gegen Frankreich spielen.

Die gegen uns gespielte Taktik wird ihnen allerdings gegen die Franzosen eher zum Verhängnis: Durch ihre extrem defensive Spielweise bringen sie die Franzosen in die glückliche Lage, mit ihrer Treffsicherheit ihre Legeschwächen gar nicht erst ausgleichen zu müssen.

Tschechien verliert deutlich. Frankreich ist im Viertelfinale. Tschechien muss gegen uns in die Barrage.

Spiel 7 – Barrage gegen Tschechien – 11 : 13

Tschechien zieht das gleiche Spiel gegen uns auf, welches bereits beim ersten Zusammentreffen für sie den glücklicheren Verlauf genommen hat. Wir haben alles versucht, um nicht wieder in die Situation zu kommen, immer nur auf die Konter-Kugeln mit viel Mühe und Energieverschleiß reagieren zu müssen. Es ist dann schon tragisch, zu sehen, wie vermeintliche Legekugeln des Gegners durch den Boden oder technische Unzulänglichkeiten zu Schusskugeln werden und plötzlich unerwartet am Cochonnet oder schon wieder auf Konter liegen. Es war in der Mannschaft schon einige Male unverständliches Kopfschütteln oder fast schon eine resignierende Körpersprache zu sehen, wenn aus einer aussichtsreichen Situation in der du dir den Gegner zurechtgelegt hast, auf  unerklärliche Weise plötzlich schon wieder eine Kugel des Gegners für Druck sorgt – ob gewollt oder nicht. Trotzdem hat das Team alle Register gezogen und sich zu jedem Zeitpunkt gegenseitig aufgebaut, um nicht wieder das Spiel gegen den eigentlich technisch schwächeren Gegner abgeben zu müssen. Die Spielstände nach den einzelnen Aufnahmen sagen alles über das knappe Kopf-an-Kopf-Rennen: 0:2, 0:3, 2:3, 4:3, 5:3, 5:4, 5:5, 5:7, 5:9, 8:9, 11:9 und schließlich für uns leider das 11:13 und damit das Aus im weiteren Wettbewerb.

Der Rest ist eigentlich schnell erzählt, obwohl die EM für die Jungs noch längst nicht damit beendet war:

Nachdem im Teamgespräch und auch in den gewünschten Einzelgesprächen die Verarbeitung der Spiele sachlich analysiert wurde, war trotz des ersten Schocks für uns alle die Gewissheit, dass sich Deutschland auf dieser EM zwar leider nicht durch eine vorderste Platzierung auszeichnen konnte, aber mit einem durch Zusammengehörigkeit geprägten Auftreten einen vorbildlichen Eindruck hinterlassen hat.

Auch in vielen Gesprächen mit anderen Nationen wurde immer wieder der lockere und freundschaftlich geprägte Umgang innerhalb des Teams und die in allen Belangen sportlich motivierte und faire Einstellung der deutschen Spieler zur Sprache gebracht.

Es gab mehrere Anfragen anderer Nationen, ob es nicht möglich wäre, ein gemeinsames Kader-Training mit Deutschland zu organisieren und durchzuführen.

Bernd Wormer

(Bundestrainer Jugend)