WM Pattaya, Thailand – Teil 7


Martin Winter: Das Pétanque – ein französischer Sport mit internationaler Beteiligung.
Betrachtungen eines Schweizers im litauischen Team in Thailand…
Als Coach des Teams Litauen, das zum ersten Mal international auftrat, hatte ich Gelegenheit, die 43. Pétanque Weltmeisterschaft in Pattaya aus der Innensicht zu erleben. Einige meiner Eindrücke möchte ich hier wiedergeben.
1. Spielerisches Niveau / Ambitionen
Von den 50 teilnehmenden Nationen sind 1/3 unerfahrene Teams mit bescheidenenem spielerischem Niveau. Im mittleren Drittel sind Nationen mit guter Organisation jedoch aufgrund des spielerischen Niveaus und der Turniererfahrung ohne Möglichkeit, ein Viertelfinal zu erreichen. Im ersten Drittel sind Nationen die über ein hohes spielerisches Niveau und grosse Turniererfahrung verfügen. Die Resultate ab dem Viertelfinal unterstreichen jedoch, dass eine Mehrzahl dieser Teams nicht an die Möglichkeit glaubt, den
Weltmeistertitel zu erringen. Eine Mehrzahl dieser Nationen aus dem ersten Drittel ist denn auch mit einer guten Platzierung zufrieden. Einzig das Team Madagaskar trat aggressiv und mutig auf und war aufgrund dieser Tatsache in der Lage die zwei Französischen Teams zu bedrängen. Hätte Frankreich auch nur ein Team an die Weltmeisterschaft entsenden können, wäre Madagaskar wohl Weltmeister geworden.
2. Organisation der Weltmeisterschaft
Die ganze rundum Organisation lag in der Verantwortung der Thailänder. Die Infrastruktur, die Logistik und die Betreuung der Delegationen haben tadellos funktioniert. Das Thailändische Organisationskomitee hat grosse Arbeit geleistet und verdient Respekt und Anerkennung und die Thailändische Gastfreundlichkeit war überall spürbar.
Die eigentliche Durchführung des Turniers lag in der Verantwortung des Comité Exécutif der Fédération Internationale de Pétanque et Jeu Provençal. Hier traten grosse Mängel auf. Am Tisch der Turnierleitung war eine Verständigung nur in Französisch möglich. Durchsagen wurden mehrheitlich nur auf Französisch gemacht. Die Unterlagen zum Turnierablauf wurden nur in Französischer Sprache abgegeben. Grössere Programmänderungen wurden nur durch
einfache Durchsagen, mehrheitlich in Französisch kommuniziert. Teams ohne Französisch-Kenntnisse waren dementsprechend orientierungslos und fühlten sich keineswegs als Teil der internationalen Pétanque Gemeinde.
Die Erklärungen zum Final des Schusswettbewerbes wurden ausschliesslich auf Französisch abgegeben. Es ist davon auszugehen, dass gerade jene Anwesenden, die nicht Französisch sprachen keine Erklärungen benötigt hätten. Ausserdem scheint mir dies ein Affront gegenüber der grossen Zahl der anwesenden Thailändischen Zuschauer.
Etwas überspitzt ausgedrückt kam mir irgendwie so vor, als ob Pattaya einfach als Plattform benutzt wurde um ein „Französisches Turnier“ durchzuführen und die 50 teilnehmenden Nationen einfach die Legitimation dazu abgaben, dass man dies auch Weltmeisterschaft nennen konnte. Mein Litauisches Team, das zum ersten Mal an einer Weltmeisterschaft teilnahm, zog es dann nach dem Ausscheiden vor, an den Strand zu gehen, statt Anschauungsunterricht zu geniessen.
Wenn Pétanque im internationalen Sport eine bedeutendere Rolle spielen soll, dann muss sich hier einiges ändern. Gespräche mit Mitgliedern anderer Delegationen bestätigten meine Eindrücke.
3. Reglemente / Schiedsrichter
Das Schiedsrichtertrio setzte sich aus einem Thailänder, einem Malaysier und dem Französischen Chef-Schiedsrichter zusammen.
Das Litauische Team bestritt an den Weltmeisterschaften insgesamt 8 Spiele. In keinem dieser Spiele hat irgendein Schiedsrichter irgendeinmal eingegriffen, obwohl es genügend Bedarf für Hinweise auf das Reglement gegeben hätte. Das Indische Team spielte noch am zweiten Tag des Turniers mit nicht homologisierten chinesischen Kugeln. Kein Schiedsrichter schien das
zu bemerken oder zu bemängeln.
Teams wie Taiwan, China oder Indien waren mit einem grossen (Spieler-) Aufgebot erschienen. Es besteht der begründete Verdacht, dass mehr als 4 Spieler eingesetzt wurden.
Dies war sicher für den Turnierverlauf keineswegs entscheidend, steht jedoch in einem krassen Widerspruch zu anderen Auftritten der Schiedsrichter.
Die Schiedsrichter waren offensichtlich eher an für den Turnierverlauf wichtigen Partien interessiert. Als sich zum Beispiel zwischen Vietnam und Frankreich eine knappe Entscheidung abzeichnete, war der Französische Schiedsrichter zur Stelle und hielt den Vietnamesen eine längere Belehrung über das Regelwerk. Da der Chefschiedsrichter kein Englisch sprach (Weltmeisterschaft !), dauerte das ganze entsprechend lange, weil alles zuerst einmal übersetzt werden musste.
Das Viertelfinal des Schusswettbewerbes zwischen Janik Schaake und Pascal Milei verlief mit Sicherheit nicht zum Vorteil des Deutschen. Alle auf der Tribüne anwesenden können das bezeugen. Das Resultat sprach klar für Pascal Milei. Aber alle die mit Pétanque vertraut sind, wissen, dass alles anders kommen kann, wenn es dann eng wird. Und es ist auch klar, dass kein Malaysischer oder Thailändischer Schiedsrichter unter der Führung eines Französischen
Schiedsrichters und in einer Französisch dominierten Turnierleitung unpopuläre Entscheide treffen wird.

Bild: Martin Winter aus Zürich – Globetrotter für das Pétanque, hier in Pattaya für das litauische Team unterwegs (vgl. Teil 6 dieser WM-Serie).
Sein Bericht – veröffentlicht bei Boulistenaute, sorgte für hitzigste Debatten und Diskussionen – man konnte ersehen, dass Manche in Frankreich durch den Bericht von Martin schwer getroffen wurden, ja, dass ein frankophones Weltbild einstürzte. Besonders die Diskussion zur Zweisprachigkeit (Englisch-Französisch) hat nicht wenige Franzosen sogar verletzt, sahen manche doch noch immer das internationale Pétanque nur durch frankophone Länder vertreten. Die Nachricht, dass mittlerweile mehr Englisch als Französisch gesprochen wird, hat die Forumsleser teils überrascht und verunsichert.
4. Das Finale
Als es dann zum Finale mit Fernsehkameras kam, waren denn plötzlich drei Schiedsrichter notwendig. In welcher anderen Sportart ist es möglich, dass ein Final an einer Weltmeisterschaft von einem Schiedsrichter geleitet wird, der aus dem Land eines Finalteilnehmers kommt? Wie von Insekten gestochen rannte der Französische Schiedsrichter von einer Richtung in die andere. Ungesehen von den Kameras argumentierte er heftig mit dem Malaysischen Schiedsrichter.
Sicher war das Verhalten von Rakotoarivelo nicht gerade sportlich und es bedurfte der vollen Aufmerksamkeit der Schiedsrichter.
Als dann das Ende absehbar war, wollte auch der Malaysische Schiedsrichter noch seinen Auftritt haben. Reglement hin oder her, die Situation war unpassend und die zweimalige Intervention vor dem entscheidenden Schuss aufs But einem Weltmeisterschaftsfinal unwürdig. Wenn alle Pétanque Schiedsrichter dieser Welt dies zum Beispiel nehmen und jeder ein kleiner „Collina“ sein will, dann ist dies der Tod des selbstregulierten Pétanque
Spiels.
Vor dem Final wurde übrigens eine Zusatztribüne mitten in die Halle gestellt. Damit sollte dem Fernsehen eine bessere Kulisse geboten werden und die Sponsorenbanner ins Bild gerückt werden. Dies hatte jedoch zur Folge, dass fast der Hälfte der normalen Tribüne die Sicht genommen wurde. Zuschauer die nicht 3 Stunden vor Finalbeginn ihren Platz einnahmen, hatten dadurch nur noch die Möglichkeit den WM-Final aus weiter Ferne zu betrachten. Aus meiner Sicht ein zu grosses Zugeständnis an das Fernsehen ohne Rücksicht auf die Eintritt bezahlenden Zuschauer.
Dass die Spieler von der Fernseh-Regie angewiesen wurden (auch während des laufenden Finals) auf der für die Kameras sichtbaren Seite zu stehen, halte ich ebenfalls für einen kritischen Eingriff in diesem Sport.
5. Resümee
Ich möchte zum Schluss betonen, dass ich nichts gegen die Französische Sprache noch gegen die wunderbare Französische Kultur habe, die uns das Pétanque geschenkt hat. Auch ist die Weltmeisterschaft durchaus reglemtentskonform abgelaufen. Und Frankreich ist ein würdiger
Weltmeister. Dem Team Suchaud, Lacroix, Le Boursicaud und Grandet ist es hoch anzurechnen, dass sie sich nach dem Tiefschlag des Vortages wieder aufgerappelt haben.
Madagaskar wäre ein ebenso würdiger Weltmeister gewesen, doch haben sie sich am Ende selber geschlagen und der Auftritt am Finaltag entsprach nicht mehr dem der Vortage. Andere mögliche Konkurrenten waren offensichtlich mit den erreichten Platzierungen zufrieden oder hatten zum Vornherein nicht den nötigen Siegeswillen.
Wenn Pétanque jedoch weitere internationale Verbreitung finden oder gar olympisch werden will, wenn sich alle Nationen als Teil der internationalen Pétanque Gemeinschaft empfinden sollen, dann muss sich jedoch einiges ändern. Es ist klar, dass der Weltmeistertitel für Frankreich einen hohen Stellenwert hat. Es ist auch klar, dass in Frankreich mit Pétanque
wohl mehr Geld umgesetzt wird, als im ganzen Rest der Welt. Auch das Potenzial an Weltklassespielern ist in Frankreich grösser als im ganzen Rest der Welt. So gesehen ist es logisch und auch richtig dass Frankreich Serienweltmeister ist.
So lange jedoch keine grössere internationale Konkurrenz auftritt kann Pétanque aus meiner Sicht auch nicht olympisch werden. Unter der Leitung des Präsidenten Azema hat Pétanque wichtige Schritte zur Internationalisierung gemacht. Viele Nationen mit bescheidenen Resultaten traten in Pattaya mit grossem Enthusiasmus auf. Solange es jedoch für solche Nationen nur schon schwierig ist, zu vernünftigen Kosten zu Kugeln zu kommen, kann sich
Pétanque nicht entscheidend entwickeln. Solange Pétanque nur im francophonen Umfeld eine Bedeutung hat, so lange wird es nicht olympisch.
Aus meiner Sicht hätte das Comité Exécutif der Fédération Internationale de Pétanque et Jeu Provençal wichtigere Aufgaben, als Weltmeisterschaften zu organisieren. Es geht dabei um Strukturarbeit und um die Schaffung einer verbreiterten Basis. In vielen Nationen werden sehr gut organisierte internationale Turniere durchgeführt und diese Veranstalter wären mit Ihrer
Erfahrung durchaus in der Lage die Turnierleitung an einer Weltmeisterschaft zu
übernehmen. Auch die Thailänder wären dazu in der Lage gewesen.
Um eine grössere Konkurrenzierung herbeizuführen wäre es zum Beispiel auch möglich, dass nicht nur der Weltmeister, sondern zusätzlich die 4 oder 6 erstplatzierten Nationen der vorangegangenen Weltmeisterschaft mit zwei Teams antreten können. Veranstalter internationaler Turniere ausserhalb Frankreichs müssten gestärkt werden und die Teilnahme von Französischen Spitzenteams sollte auch ohne exorbitante Gagen gefördert werden.
Vielleicht sollte man auch eine Art Welt-Cup mit Turnieren in verschiedenen Ländern ins Auge fassen. Und die Französischen Kugelproduzenten müssten endlich das Potenzial ausserhalb Frankreichs entdecken. Dies beginnt halt eben mit einem lokalen Importeuer, kleinen Lieferungen, doch kann es sich rasch entwickeln, wenn mal eine Basis gelegt ist.
Zum Schluss möchte Präsident Azema bestärken, den eingeschlagenen Weg der
Internationalisierung weiterzuführen, zum Wohle des Französischen und des internationalen Pétanque. Damit Frankreich dereinst Pétanque Olympia Gold feiern kann.
6. Nachspiel
Allen teilnehmenden Nationen wurde anlässlich des Gala Dinners (die gesamte Moderation in Französisch !) vom Schlussabend in Pattaya einer Erinnerungs-CD mit Fotos von der Weltmeisterschaft abgegeben. Darauf enthalten sind ca. 100 Fotos mit Bildern von der Eröffnungsfeier und den Erstplatzierten der einzelnen Wettbewerbe. Davon ca. 40 Fotos zeigen die Franzosen beim Einmarsch und in anderen Situationen. Andere Nationen sind dabei kaum im Bild zu sehen.
Am Kongress in Pattaya wurde entschieden, dass für Senegal 2008 der Modus geändert wird.
Es soll im „Schweizer System“ gespielt werden. Vielen Verbänden war dieser Modus bisher nicht bekannt. Sie waren daher auch kaum entscheidungsfähig. Es wurde daher eine CD mit dem Turniermodus abgegeben (Excel), damit man diesen Modus zu Hause auch ausprobieren kann. Selbstverständlich ist diese CD nur in Französischer Sprache erhältlich.
– Das Pétanque – ein französischer Sport mit internationaler Beteiligung.
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Weitere filmische Eindrücke kann man bei unseren finnischen Kollegen unter der Internetadresse: http://pet.pp.fi/videot/2007/thailand/ geniessen.
Desweiteren die Excel-Dateien zur WM als Download:
WM – Tir de Précision (160 Kb)
WM – Teams und Nationencup (1,8 Mb)