Der Zaungast: „Ganz so schlimm war es nicht!“

Als DPV-Bundestrainer ist Sönke Backens für das Damen-Senioren-Kader verantwortlich, in dem er auch die frisch gebackenen Siegerinnen von Marseille trainiert. Eileen Jenal kennt er bereits seitdem sie 3 Jahre alt ist, Luzia Beil nicht viel kürzer. Beide sind mit im „One Unit“-Nachwuchsteam, das Sönke gemeinsam mit den beiden und drei weiteren Spielerinnen vor fast 10 Jahren ins Leben gerufen hat. Nun standen seine Schützlinge sensationell im Finale des Damen-Turniers von Marseille 2021 – und haben es sogar gewonnen. Und er saß davor, vor dem Monitor… Wir fragen nach Fingernägeln und Gummibärchen!

DPV: Sönke, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu dem Erfolg, dessen Vater sicher auch Du bist. Wie war das für Dich vor dem heimischen Monitor? Du kennst alle drei Spielerinnen sehr gut, zum Teil von Kindesbeinen an. Was waren Deine Gedanken, als Du sie da im Regen von Marseille um den Titel hast kämpfen sehen? Sind noch Fingernägel und Gummibärchen übrig?

S.B.: Vielen Dank, ich freue mich sehr für dieses Team! Tatsächlich waren bereits am Vorabend die Fingernägel gekürzt und die Gummibärchentüte geleert. Ehrlich gesagt war ich als Nichtspieler noch nie vor einer Partie dermaßen aufgeregt. Natürlich kommen hier und da Erinnerungen hoch. Die ersten Kugeln, die Eileen und ich zusammen geworfen haben – da war sie 4 Jahre alt und wollte nur mit den Kugeln werfen, die glänzten. Ihr Vater Paul, der sie zum Training zu mir gefahren hat und seiner Tochter bei mir das bequemere Bett überlässt, damit sie am nächsten Tag topfit ist.

Luzi, die zum One Unit Training nachts um halb zwölf anreist und maßlos enttäuscht ist, dass ich am Bahnhof rechts nach Hause abbiege, obwohl es links zur Boulehalle geht.

Domino, die nachfragt, ob sie trotz der vorgegebenen 3–4x Training pro Woche auch fünfmal trainieren darf.

Vor dem Finale hatten sie alle Gegner dominiert. Das Finale war kein gutes Spiel der drei. Davon hat sich das Team jedoch nicht herunterziehen lassen. Entscheidend ist die Fähigkeit, auch diese Spiele zu gewinnen, in denen man mal nicht so gut spielt. Aber eben besser als der Gegner.

DPV: Es wurde sehr deutlich, dass beide Mannschaften erhebliche Schwierigkeiten mit den äußeren Umständen, insbesondere dem Regen, und dem Boden hatten. Was hat den Unterschied zwischen dem DPV-Team und ihren Gegnerinnen ausgemacht?

S.B.: Der unbedingte Wille zum Erfolg, sich die Krone aufsetzen zu wollen, war sicherlich ein Faktor. Zudem war unsere Mannschaft über das gesamte Spiel hinweg stark konzentriert und fokussiert. Schaut mal in die Augen der Spielerinnen. Die sagen alles. Die Zeitlupenstudien, die das französische Fernsehen gebracht hat, fand ich besonders schön. Im Vergleich waren die Bewegungsausführungen des französischen Teams wesentlich weniger akkurat und zielführend als die exakte Wurftechnik ( beispielsweise die präzise Handöffnung) von Domino, Luzi und Eileen.

Durchgängig fokussiert und konzentriert: das erfolgreiche DPV-Damen-Team. (Foto: ©France 3, TV)

Unsere Spielerinnen wurden über Jahre von engagierten Menschen technisch sowie mental gut ausgebildet und haben mit intensivem Training ihre Automatismen verinnerlicht. Das machte nicht nur im Finale für mich den Unterschied aus.

DPV: Gab es eine Situation, in der Du daran gezweifelt hast, dass das DPV-Team den Sieg nach Hause bringt?

S.B.: Was Eileen, Domino und Luzi in den vier Spielen vor dem Finale geleistet haben, hat mich extrem beeindruckt. 4 Punkte im Durchschnitt und nicht mehr als 6 haben sie vom Gegner zugelassen. Dazu waren sie als Team geschlossen, nur bei sich, nicht beim Gegner oder den Zuschauern, den Fokus immer voll auf die nächste Kugel legend. Mir war klar, dass sie etwas ganz Besonderes vorhaben, ohne Zweifel.

DPV: Wie hast Du die jeweiligen „Matchbälle“ in den beiden Aufnahmen vor der Letzten erlebt, die in diesem Augenblick nicht gelungen sind? Woran hat es aus Deiner Sicht gelegen?

S.B.: Vielleicht wollten sie das Finale bei dem starken Regen noch länger auskosten. Nein, natürlich werde ich den dreien auch genau diese Matchball-Frage stellen. Von außen betrachtet war es möglicherweise eine Mischung aus dem regnerischen kühlen Wetter, der ungewohnten Situation (Carre d´honneur, Mikrofon etc.) und der Nervosität. Gut gefallen hat mir, wie sie danach nur nach vorne geschaut und fokussiert auf den nächsten Matchball hin gespielt haben. Das haben sie sich antrainiert und wurde toll von ihnen umgesetzt.

DPV: Was bedeuten Deine Erkenntnisse aus dem Spiel und dem Ergebnis für Deine zukünftige Arbeit mit den Spielerinnen? Hast Du besonderes Potenzial in irgendeinem Bereich ausmachen können, an dem noch Verbesserungen möglich sind?

S.B.: Susanne Fleckenstein (Assistenztrainerin) und ich sehen in „unseren” acht Nationalspielerinnen sehr viel Potential. Dass sie dieses erkennen und ausschöpfen, erfordert jedoch ihren eigenen Glauben daran. Ansonsten funktioniert das nicht. Den Glauben an sich selbst können wir Trainer(innen) den Spielerinnen nicht einreden. Aber wir können ihnen Wege zur Selbstwirksamkeitsüberzeugung aufzeigen und eine Plattform sowie Möglichkeiten zu deren Potentialentfaltung bieten. Das ist bestimmt unsere bedeutungsvollste Traineraufgabe. Mich freut es deshalb am meisten, dass es Eileen, Luzi und Domino individuell und als Team gelungen ist, die über Jahre und neu antrainierten Automatismen über ein gesamtes Turnier abzurufen. Und dazu noch in einem derart bedeutungsvollen. Das setzt den Glauben an sich voraus. Hauptsächlich konnte ich von den dreien viel Gutes bis Perfektes sehen. Aber natürlich habe ich bereits alle Spiele analysiert und auch Verbesserungsmöglichkeiten entdeckt. Diese werden wir gemeinsam besprechen.

DPV: Was zeichnet diese drei Spielerinnen deiner Meinung nach besonders aus?

S.B.: Als Grundvoraussetzung haben alle drei eine extrem hohe Leistungsmotivation. Hinzu kommt der permanente Wille nach Verbesserung und Weiterentwicklung. Diesbezüglich zeichnet sie eine große Offenheit und viel Vertrauen gegenüber neuen Anregungen und Kritik von Trainerseite aus. Sie sind neugierig, experimentieren gerne, probieren aus, suchen nach Möglichkeiten der Leistungssteigerung, saugen Trainerwissen wie ein Schwamm auf. Außerdem besitzen sie ein ausgeprägtes Körpergefühl, können gut in sich hineinfühlen und neue Bewegungselemente schnell umsetzen.

Lass mich kurz zum besseren Verständnis von zwei Situationen sprechen: Als ich Luzi nach ihrem 3. Platz bei der WM im Schusswettbewerb anrief, um ihr zu erklären, was wir an ihrem Schussstil verbessern sollten, war ihre Antwort: „Verstehe, was soll ich tun? Wann kann ich kommen?” Ihre Reaktion hätte ebenso sein können: „Sönke, hast du nicht mehr alle Latten am Zaun? Ich bin gerade drittbeste Schießerin der Welt geworden und du erzählst mir was von Technikverbesserung?”

Und als Eileen Europameisterin im Schusswettbewerb wurde, meldete sie sich drei Tage später bei mir und sagte: „Du hast mich gesehen und weißt, das war nicht mein Potenzial, was ich abrufen kann. Das muss besser werden. Hast du nächste Woche Zeit?”

Und alle drei hatten und haben in ihren Eltern ganz tolle Unterstützer und Förderer!

DPV: Die Spielerinnen sind noch in Südfrankreich, welchen Gruß möchtest Du an dieser Stelle schon mal loswerden?

S.B.: Ihr habt den Pétanquesport in fantastischer Weise zelebriert und damit einer großen Zuschauerzahl vor Ort und zu Hause sehr viel Freude bereitet. Dazu und dem großartigen Erfolg gratuliere ich euch sehr!

Mit allen drei Spielerinnen war ich vor und nach jedem Spiel in Kontakt. Meine persönlichen Glückwünsche haben sie deshalb natürlich längst erhalten.